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kunst im euregio-haus

ein euregioprojekt – gefördert durch die provinz limburg, das land nrw, dem europäischen fonds für regionale entwicklung der europäischen union

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Sein und Zeit – DE TIJD EN DE DINGEN

Kathrin Tillmanns (D) und Marion van Cruchten (NL) im euregio-Haus
1. Oktober – 13. Dezember

Kuratiert von Drs. Ridsert Hoekstra, Conservator Stedelijk Museum Roermond.

Kathrin Tillmanns wurde 1968 in Rudolstadt, Thüringen, geboren, zu Zeiten der DDR. Ihr Interesse für die Fotografie entstand, als sie eine sogenannte Boxkamera benutzte. Das war eine fast quadratische Box mit einer Linse an der einen und einem lichtempfindlichen Rollfilm auf der anderen Seite. Oben auf der schwarzen Box befand sich ein rechteckiges Sichtfenster, über das man sich beugen musste, um das Motiv ins Bild setzen zu können. Diese Haltung des Fotografen über der Kamera verlangsamt das Sehen, intensiviert dieses und schafft zugleich eine Distanz zwischen dem auf zunehmendem Objekt und dem Fotografierenden. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie begann sie in Berlin/Ost und konnte diese erst nach dem Fall der Mauer mit einer Ausbildung im Fotografenhandwerk in Düsseldorf auf eine solide fachliche Basis stellen. Danach folgten immer wieder, neben ihrer freiberuflichen Tätigkeit, längere Studienreisen nach Nordafrika, Mittelamerika und Südostasien, sowie ein Studium im Studiengang Kommunikationsdesign an der FH Düsseldorf.

Kathrin Tillmanns stellt sich selbst die Frage, in welches Verhältnis der Fotografierende zu seinem aufgenommenen Objekten oder Personen tritt . Diese Frage existierte bereits in den ersten Jahren der Fotografie, als noch mit Plattenkamera und Holzstativ fotografiert wurde. Der Fotograf legte ein schwarzes Tuch über den hinteren Teil der Kamera und steckte seinen Kopf darunter, während er das vor seiner Linse stehende Motiv auf die empfindliche Platte verewigte. Dadurch dass der Fotograf die Wirklichkeit festhält – jedenfalls für den einen Augenblick – ist er nicht Bestandteil dieser Wirklichkeit , sondern geht auf Abstand. Die Wirklichkeit ist in diesem Moment das, was betrachtet wird und nicht das, woran, man teilnimmt . Mit dem fotografischen Blick beginnt auch das Staunen. Das reine unverfälschte Betrachten ohne gleich zu urteilen. Diese Art der Betrachtung ist in Kathrin Tillmanns Arbeit sehr stark zu spüren.

Eine andere Frage, die Kathrin Tillmanns sich stellt, ist die nach der Inflation der Bilder. Wenn eine Fotografie in einer Flut von Bildern im Internet , in den sozialen Medien und im Fernsehen wahrgenommen wird, wie verändert sich dann die Haltung des Betrachter s zum Bild? Wenn es zur tausendfachen Reproduktion und Wiederholung von Bildern kommt , was macht das mit uns? Kann das Bild eines persönlichen Ereignisses in dieser Flut von Bildern bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden? Wie viel Masse und Wiederholung verträgt ein noch so beeindruckendes Bild, um dann nicht doch flüchtig und banal zu werden? Das ist es, was Tillmanns die „Inflation der Bilder“ nennt. Ihre Fotografien sind eine Art Damm in der Bilderflut. Sie laden zum Verweilen ein, zum bewusstem Hinschauen. Für diese Art des Betrachtens benutzt sie das Wort Achtsamkeit. Der Blick, der aufmerksam ist und Respekt hat vor dem, was er sieht , und …  Abstand hält, achtsamen Abstand.

Drei fotografische Serien dieser Ausstellung sind durch das Thema Zeit und Vergänglichkeit verbunden. Die erste zeigt das Innenleben eines alten Schauspielhauses, das geschlossen wurde. Das Mönchengladbacher Schauspielhaus liegt verlassen dar und ruft Erinnerungen an bewegte Zeiten wach. Sogar, wenn man selber dort nicht gewesen ist , kann man es sich gut vor – stellen: Das sensible, melancholische Licht über den dunklen, leeren Theatersitzen, die Überbleibsel von herausgerissenen Lichtschaltern, der durch die Feuchtigkeit gewellte Teppich auf der Bühne mit dem geschlossenem Vorhang. Das Gebäude, das einst so voll und belebt war, liegt verlassen dar – und strahlt doch eine enorme Schönheit aus.

Die zweite Serie zeigt das Innenleben des ehemaligen Museums von Mönchengladbach. Auch das ist geschlossen und verlassen. Es zeigt sich als ein leeres Puppenhaus, als rechteckiger Guckkasten, in dem kein Ding mehr ist, noch etwas geschieht . Aber was für ein herrliches Licht füllt mit seiner beweglichen Gegenwart diese Leere! Es ist , als ob eine heilige Stille in den verlassenen Raum hernieder schwebt . Das Weiß, Gelb und Bernsteinfarbene, die in den Bildern des alten Museums dominieren, treffen auf das Farbspektrum des alten Theaters von Grau, Rot und Blau.

Die dritte Serie zum Thema Zeit besteht aus einundzwanzig Stillleben. Sie sind als Tableau unter dem Titel „Haus an der Straße“ gruppiert. Sie bitten darum – wie es sich bei einem Stillleben gehört – eingehend betrachtet zu werden. Im Grunde genommen gibt es da nur ganz normale Dinge zu sehen, äußerst normale, keine spektakulären. Die Dinge machen auch nichts, sie haben bereits alles gemacht , so scheint es jedenfalls. Ein Schaufenster voll gelassener Alltäglichkeit. Man sollte allerdings wissen, dass es das Elternhaus der Fotografin ist, das Haus, in dem sie aufwuchs, Dinge voller Erinnerung. An den Dingen haftet die Zeit. Die anderen Arbeiten haben es vordergründig nicht so mit dem Thema Zeit zu tun. Es geht um Präsenz und in besonderer Weise um das Da-Sein. In der Serie von Bildern mit Mauern, Fenstern, Türen und Rohr leitungen sind diese zu Kompositionen von Farbflächen und Formen geworden. Sonnenblumen mit ihrem gerade noch anwesenden Gelb gegen das komplementäre Blau des Himmels erscheinen in der Fotografie als eine Gruppe von Wesen, die etwas mitteilen wollen. Die letzte Reihe zeigt Bilder auf der Straße. Ein vorübergehender Umhang aus Japanpapier bewegt sich auf einem Kleiderbügel an einer Kirchentüre im Wind. Eine Statue vor einer großen Leinwand, ja was soll das denn? Ein runder Abfallcontainer mit Zetteln beklebt, von denen keiner mehr ganz ist . Sie flattern wie eine sich ablösende Haut. Wie alltägliche Dinge doch außergewöhnlich und poetisch wirken können – wenn man sich Zeit für ihre Betrachtung nimmt. Achtsamkeit.