publikation // beitrag
Gerhard Vormwald – Photos!
mit Photos von:
Gerhard Vormwald
und Texten von:
Wolfgang Behnken
Andrea Gnam
Friedrich W. Kasten
Thilo Koenig
Wilfried Korfmacher
Rheinhold Mißelbeck
Thomas Schirmböck
Martin Stather
Kathrin Tillmanns
und Gerhard Vormwald.
Format: 21,9 cm x 29,4 cm, 360 Seiten, Hardcover,
Fadenheftung, Lesebändchen. Düsseldorf, 2014
Wilfried: Wir kennen viele Interviews von Gerhard mit Vormwald. In anderen Worten: Du hast dich schon manchmal etwas einsam gefühlt?
Gerhard: Ich musste auf meinen langen Autofahrten von Frankreich nach Düsseldorf und zurück, jedes Mal 1200 Kilometer, 7 Stunden einfacher Weg, viele Selbstgespräche halten. Anfangs benutzte ich ein Diktaphon, aber das war sehr gefährlich, weil ich dann so konzentriert auf meine Gespräche war. Mit der rechten Hand hielt ich das Diktaphon und mit der linken nicht mehr das Steuer, sondern fing an zu gestikulieren. Das habe ich dann sein lassen, sonst wäre ich nicht wieder gekommen — niemals mehr. Und ich habe die Aufzeichnungen irgendwann sein lassen, weil ich wusste: Alles was gut ist, bleibt auch hängen. Und nur das Gute ist hängen geblieben.
W: Das ist ja heute kein Abschied, sondern ein Übergang und eine Einladung aufs Wiedersehen! Der Vormwald ist immer Anfänger geblieben, ist das ein Stichwort für dich?
G: Ich bin immer Amateur geblieben. Amateur heißt ja Liebhaber und das bin ich heute noch.
W: Dieses Mal musst du kein Selbstgespräch führen. Wir möchten gerne mit dir über eines der berühmtesten Bilder der jüngeren Fotogeschichte und das berühmteste von Gerhard Vormwald sprechen.
G: Der fliegende Schwarze.
Kathrin: Wann ist das Bild entstanden und wo?
G: Sommer 1983 in meinem Pariser Studio, 52 Rue Pernety, im 14. Arrondissement. W: Wie lange warst du da in Paris?
G: Im Februar bin ich nach Paris gekommen, und das Bild ist im Sommer gemacht worden.
K: Aus welchem Grund ist das Bild entstanden? Wer war der Auftraggeber?
G: Niemand. Die meisten meiner schönsten Bilder hab ich aus mir gezaubert, ohne Auftraggeber. Es war meine erste Eigenproduktion in meinem Pariser Studio.
K: Gibt es Bilder, die dich dazu inspiriert haben?
G: Nein, gewöhnlich produziere ich eigene Bilder im Kopf. Hier war eine Tapete mit Flugzeugmotiven ausschlaggebend, die ich im Jahr davor anlässlich eines Autoshootings in Antibes, in einem Dekorladen in Nizza gefunden hatte.
W: Die berühmte Flugzeugtapete von Nizza! Wir halten das mal fest für die Kunstgeschichte.
G: Ich habe da noch mehr so schräge Tapeten gekauft.
K: Wer ist der Protagonist im Bild?
G: Nein, das ist nicht Grace Jones, sondern Jack, der Türsteher der populären Pariser Disko ›Bains Douches‹, danach in den 90er Jahren nur noch ›Le Bains‹ genannt, vormals ein städtisches Volksbad. Er wurde mir empfohlen von einem Assistenten, der bei mir gearbeitet hat. Ich hatte dieses Fliegeprinzip ja schon aus Mannheim mitgebracht und da lag es auf der Hand, dass er mal hüpft. Das hat er ungefähr 30 mal gemacht, dann war das im Kasten. Einmal mit Dia, einmal mit Color Negativ, einmal mit Schwarz Weiß, alles auf 4x5 Inches.
K: Was hat es mit deinen Kippbildern auf sich? Wie bist du dazu gekommen und seit wann machst du die?
G: Im Allgemeinen habe ich diese Bilder unter dem Begriff ›Fliegebilder‹ zusammengefasst. Dieser Begriff hat sich auch ›eingebürgert‹. Durch ein verkehrtherum in den Projektor eingelegtes Diapositiv mit einer nackten, telefonierenden Frau. Durch eine Bilddrehung um 90 Grad entstand der Eindruck, dass die Frau, die ihre Beine eigentlich hoch gestreckt hatte und mit dem Rücken auf dem Boden lag, abheben würde. Mit entsprechender Kulisse, Haltungskorrektur und Anbringung von Requisiten, sowie einem entsprechend angebrachten ›Fenster‹ mit Ausblick auf einen gemalten Wolkenhimmel, war der Eindruck des Schwebens perfekt. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich mir als Kind zuweilen einen Spaß daraus machte, den Kopf verkehrt herum aus dem Bett zu hängen und mir dabei vorstellte die Decke sei der Fußboden und ich ginge darauf herum. Bildgewordene Konsequenzen meiner optischen Wahrnehmung und Imagination. Zuweilen habe ich die Bildachsen auch um 180 Grad gedreht, z.B. bei ›Uschi mit Luftballonen‹. 1975 entstand das Bild ›Adler/Telefon‹ welches dann zusammen mit einigen anderen gleichgearteten Raumillusionen im ›Playboy‹ international veröffentlicht wurde. Kein schlechter Auftakt für einen Karrierebeginn. In gewissen Kreisen eventuell ein fragwürdiger, weshalb ich auch längere Zeit nicht mehr öffentlich davon sprach. Aber ich habe ja nicht nur für Herrenmagazine gearbeitet. Die Honorare allerdings waren dort fabelhaft!
K: Welche Bedeutung hat das Telefon im Bild?
G: Ich hatte schon zu Mannheimer Zeiten ein Faible für Dinge entwickelt, die der Mensch direkt benutzt, zu denen er täglich eine Verbindung hat, Alltagsgegenstände wie Stühle, Telefone (ich hatte mehrere Säcke voll davon von einem Postmenschen bekommen, der die Dinger abmontierte und dafür neue Apparate anschloss), Werkzeuge, Bestecke, Geschirr, Flaschen, Kippen… Mit diesen Props war ich in der Lage nach Belieben unterschiedliche Geschichten in die Bilder einzubringen. Das Telefon beim fliegenden (nackten) Schwarzen, zusammen mit dem Pornomagazin auf dem Boden, assoziiert eventuell Telefonsex. Und man weiß doch um die sagenhafte Potenz von Schwarzen! Damals hingen überall in Frankreich in aller Öffentlichkeit Myriaden von Plakaten mit den Telefonnummern der Telefonsexdienste herum. Das Pornomagazin wurde in Japan und in einigen anderen katholischen Ländern weggeschnitten. Jack hatte übrigens auch ein bisschen Probleme mit dem Pornoheftchen gehabt.
K: Warum liegt auf dem Bett eine Gabel? Ist es überhaupt ein Bett?
G: Es ist gewiss ein Bett! Allerdings liegen — wenn man richtig hinsieht — unter dem Laken mehrere Messer (z.B. hinter dem Telefon), Zangen und ein Hammer sowie andere nicht mehr zu identifizierende Gegenstände.
W: Damit er auch wirklich fliegt.
G: Das sieht man alles erst in einer entsprechenden Vergrößerung. Jetzt könnte man mal so richtig loslegen zu interpretieren. Also: Damals hatte ich natürlich auch schon Kafka gelesen: ›In der Strafkolonie‹. Da gibt es ein ähnliches ›Folter Bett‹, obschon hier die sogenannte Egge die Verletzungen von oben her in den Körper ›einschreibt‹. Dann gibt es da noch das Bett des Prokustes, da wird einfach abgeschnitten was zu lang ist und passend gemacht. Und nun kommt noch der Schatten ins Spiel. Die Flughaltung des durchtrainierten Mannes, der in perfekter Körperhaltung, aus dem Stand heraus, ungefähr 30cm hoch gesprungen ist, wirkt in seinem Schatten wie eine symbolische Kruzifixation. Die Werkzeuge Hammer und Zange sind Symbole des Leidensweges Christi (sind da nicht vielleicht auch noch Nägel unter dem Tuch versteckt?). Und wenn es schon die schwarze Madonna gibt, warum sollte sie keinen schwarzen Sohn haben. Hier scheint Schluss zu sein mit dem Fabulieren, denn ich kenne keine Himmelfahrtsdarstellung in der Jesus horizontal abhebt. Auch eignet sich das von Falten zerfurchte Leintuch auf dem Block weder zum Abdruck einer Vera Icon, noch der Block selbst über das es gespannt ist als Grabplatte, die es wegzuschieben gilt. Das weiße Laken steht für die unbefleckte Empfängnis, die Werkzeuge könnten Kastrationsängste bedeuten (Man kann sich vorstellen was passiert wenn der gute Mann landet). Habe ich mir das alles so ausgedacht? Ich lasse es hier mal offen.
K: Wie wichtig ist der Schatten, der auf das weiße Laken fällt?
G: Sehr wichtig! Und er zeigt uns, dass wo viel Licht ist auch immer viel Schatten fällt, und das Licht kommt ›immer von oben‹. Der Lichtverlauf ist insofern wichtig, als dass er dem Betrachter den — von uns verinnerlichten — Eindruck von ›Realität‹ suggeriert.
W: Wie kam es zur Wirkungsgeschichte dieses Bildes?
G: Die Leute waren begeistert und irritiert. Es war etwas absolut Neues, ich habe auch sofort einen Agenten bekommen, als er das Bild gesehen hat. Irgendwie muss ich da einen Hit gelandet haben in der Zeit, das hat die Leute angesprochen.
W: Das wundert dich noch, oder?
G: Ich wundere mich immer noch!
K: Du hast es zu einem Wettbewerb eingereicht, oder?
G: Ich hatte damit und mit ähnlichen Fliegebildern, die ich noch in Mannheim gemacht hatte, sofort einen Agenten in Paris geködert. Dieser Agent nahm mit anderen Agenten und Fotografen an einem Wettbewerb zum besten Fotografen Frankreichs teil — die natürlich alle in Paris ansässig waren. Als absoluter Newcomer (niemand kannte mich zuvor) wurde ich knapp hinter dem Zweiten auf Platz drei gewählt. Die anderen waren ›ältere Hasen‹. Presse, Rundfunk, große Vorstellung im ›Grande Rex‹, dem damals in Paris größten Kino und Veranstaltungssaal, zur Nacht der Fotografie. Danach war ich in die Szene eingeführt und mein Agent brachte mehr und mehr entsprechende internationale Aufträge für Werbung und Zeitschriften herein. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich gut zu tun. Fortan war ich in Paris der ›Photographe Allemand Fou‹ — der verrückte deutsche Fotograf.
W: Warum hast du das Fliegen irgendwann drangegeben?
G: Ich habe das dann mit diesen fliegenden Leuten noch ein paar Mal gemacht. Dann habe ich auch Frauen hingelegt mit Männern oben drüber, Leute, die die Wände hoch laufen, etcetera. Das kam alles immer gut an. Irgendwann habe ich aufgehört. Alles andere waren Varianten, irgendwann hatte ich die alle durch, das war relativ schnell ausgereizt. Dann bekam ich Anfragen von Agenturen, da sollten Leute an der Decke entlang laufen, das habe ich nicht gemacht, es war mir zu blöd. Irgendwann war es durch, auch konnte man es nun digital montieren. Ich bekam von Freunden Faxe und Briefe geschickt, was ich da für einen Mist gemacht hätte? Das waren dann Epigonen aus allen Herrenländern, die das nachgemacht haben, dann war das für mich gegessen.
K: Der Titel hat sich über die Zeit geändert, warum?
G: Wegen politischer Korrektheit. Der Begriff ›Neger‹ war irgendwann verpönt.
K: Wo ist es veröffentlicht worden?
G: In mehreren internationalen Fotozeitschriften und Fotobüchern, Publikumsmagazinen, im ADC-Jahrbuch, bei mehreren Postkartenverlagen, im Stern …
K: Der Mensch ist ein wichtiges Element in deinen Arbeiten, seine Rolle hat sich in deinen Bildern über die Zeit gewandelt. Warum?
G: Da will ich jetzt nicht weiter ausholen. Ich denke, ich arbeite so wie es mich gerade treibt. Mit Menschen ist es weitaus schwieriger und aufwändiger zu arbeiten als nur mit Gegenständen oder Landschaften. Mit Menschen muss man manchmal viel reden um sie davon zu überzeugen, dass es gut ist, was man mit ihnen machen möchte. Zur Zeit möchte ich lieber ›einfache‹ Fotos machen. Dabei muss es aber nicht unbedingt bleiben.
Vielen Dank, liebe Kathrin, lieber Wilfried, für dieses Interview.
Kathrin Tillmanns ist Diplom Designerin, Fotografin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Design an der Fachhochschule Düsseldorf. Tillmanns hatte zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, ist Mitglied bei der GIB (Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft) und GNP (Gesellschaft für Neue Phänomenologie) und promoviert aktuell an der Heinrich-Heine-Universität zur Medienästhetik des Schattens. Prof. Wildried Korfmacher, Diplom Designer und Diplom Psychologe, unterrichtet visuelle und verbale Kommunikation im Fachbereich Design an der Fachhochschule Düsseldorf. Korfmacher ist Inhaber der Kreativagentur Zeichenverkehr, Mitglied im Art Directors Club Deutschland und lebt in Düsseldorf. Das Interview wurde während der Vormwald-Abschiedsfeier, nach 13 Jahren Lehrtätigkeit an der FH Düsseldorf, am 27. Juni 2013, geführt