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Das Interview wurde von Beate Domdey-Fehlau anlässlich der Ausstellung LICHTUNGEN – Kathrin Tillmanns – Arbeiten mit Fotografie Einzelausstellung im Kunstverein Langenfeld im März 2012 geführt.

Beate Domdey-Fehlau ist künstlerische Leiterin und Kuratorin des Kunstverein Langenfeld. Sie begleitet den Kunstverein seit seiner Gründung. Sie hat maßgeblich Anteil daran, dass aus der als lokale Künstlervereinigung gegründeten Initiative ein international agierender Kunstverein wurde. Junge internationale Künstler wurden unter ihrer Leitung ebenso im Kunstverein präsentiert wie namhafte Künstler unserer Zeit, so die deutschen Informellen sowie u.a. O.H.Hajek, Otto Piene und Ben Willikens. Als weitere Highlights ihrer kuratorischen Arbeit können internationale Bildhauersymposien genannt werden sowie Themenausstellungen, z.B. Reflexion über Paula Modersohn-Becker oder Das Brandenburger Tor im Spiegel der zeitgenössischen Kunst wurden von ihr kuratiert. Sie zeichnet zudem für ein umfangreiches und anspruchsvolles Kunstvermittlings-Programm verantwortlich. Für Ihre Vedienste um die zeitgenössische Kunst in Langenfeld wurde Beate Domdey-Fehlau mit der Ehrenmedaille der Stadt Langenfeld ausgezeichnet. 

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arbeiten mit fotografie // ausstellung

Interview zur Ausstellung

LICHTUNGEN – Kathrin Tillmanns – Arbeiten mit Fotografie Einzelausstellung im Kunstverein Langenfeld im März 2012

Beate Domdey: Seit Ihrem 15. Lebensjahr fotografieren Sie. Können Sie sich noch erinnern, was sie an diesem Medium fasziniert hat?

Kathrin Tillmanns: Natürlich kann ich das. Die Faszination kam wie bei so manchem über den ersten Kontakt mit diesem Medium im Elternhaus. In unserem Hause wurde der Fotografie als Möglichkeit des Festhaltens eines besonderen Augenblicks ein großer Stellenwert eingeräumt. Es waren besondere Situationen des Alltags, Feste, seltene Zusammenkünfte, Geburtstage, ein besonders später Frühlingseinbruch mit Ostern im Schnee, der erste Schultag, Jugendweihe, Urlaube an der Ostsee usw. Es sind im Grunde genommen all die Gebrauchsweisen die Pierre Bourdieu in seinem Buch vom „Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie beschrieben hat. Man machte Fotos, um sie in ein Album zu kleben zu beschriften, mit Daten zu versehen. Ein Bild stand für den Augenblick. Es war der Beweis, dass er stattgefunden hat. Schaut her, wir waren an der Ostsee, und hier bei Tante Ella in Brandenburg. Ein Foto ist aber auch ein Link, eine Verknüpfung zu diesem Moment, und oft passierte es, dass nur das Bild diese Verknüpfung wieder herstellen konnte. Eine Fotografie ist eine Art Übergangsobjekt. Man macht sie, um etwas festzuhalten, um es vergessen zu können, und anhand derer wieder hervorholen zu können. Blickt man auf dieses Ritual der Erinnerung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das dokumentarische Fotos von Beuys Kunstaktionen als „Umgestaltung“ seiner Werke betrachtet, so stellen sich dazu schon noch ganz andere Fragen. Der Moment der Jugendweihe in einem einzigen Bild, eigentlich unvorstellbar.

Mit den Jahren des Älterwerdens wurde weniger fotografiert, das Kind von der Mutter als fotografisches Motiv entzog sich und verlor sein Süsssein. Einen großen Stellenwert nimmt auch der Aufnahme Apparat ein – es wurde auf Mittelformat fotografiert. Meine Mutter hatte von Tante Trudchen aus Westberlin eine Kamera, eine Agfa Box geschenkt bekommen. Die wurde mit Rollfilm bestückt, welches an sich schon ein Ritual war. Das bestimmte ebenso die Aufnahme. Es wurde nur draußen und vorzugsweise bei Sonne fotografiert. Filme selbst entwickeln und Fotoabzüge erstellen, stand bei uns im Hause nie zur Debatte. Man brachte die Filme zu Fuss ins Nachbardorf zu einem Fotografen. Er hatte sein Geschäft am Aufgang zum Lichtspielhaus. Ich glaub nach einer Woche konnte man die Bilder wieder abholen, Format 9×13, glänzend, als Kontaktkopie mit einem welligen weißen Rahmen drumherum. Die Negative wurden als erstes vernichtet, man hatte die Bilder und ich kann mich nicht an eine Situation erinneren, das nachbestellt wurde und wenn dann direkt für alle auf den Foto abgebildeten Personen. Meine Mutter hatte eine Aversion gegen die Chemikalien behafteten Negative.

Beate Domdey: Wann war für Sie klar, dass Sie sich mit der Fotografie professionell beschäftigen möchten. Gab es einen besonderen Anlass, Ereignis?

Kathrin Tillmanns: Das ich die Fotografie als Beruf betreiben wollte war mir ungefähr mit 15 Jahren klar. Wir gingen mit diesem Berufswunsch zur Berufsberatung in die Kreisstadt. Es gab keinen freien Ausbildungsplatz dafür. Ich nahm dann einen bei der Post, wohl auch deshalb, um in Erfurt Berufsschule zu haben. Ich bewarb mich während dieser Ausbildung bei allen möglichen und unmöglichen Verlagen, Firmen, Schulen – es führte kein Weg hinein. Die Antwortschreiben habe ich noch, sie würden eine kleine Ausstellung füllen. Ich sah nur den Weg über ein Studium, begann mein Abitur in der Abendschule, um mich damit in Leipzig, heute Hochschule für Gestaltung und Buchkunst, zu bewerben. Ich ging jedoch 1987 nach Ostberlin und ließ das Abi schleifen, fotografierte aber mehr, besuchte Ausstellungen, damals schon die kleine Galerie am S- Bahnhof Ostkreuz, ging ins Theater. Die Mauer fiel. Durch einen Zufall geriet ich nach Mönchengladbach und durch einen weiteren begann ich noch im Wendejahr ein Ausbildung zur Fotografin, zunächst bei einem Porträtfotografen, dann in einem Düsseldorfer Werbestudio. Gerhard Vormwald fiel mir übrigens da schon in die Hände, hinter dem Porträthintergrund stand eine Kiste mit Fotozeitschriften, worin ein Bericht über ihn gedruckt war. Mit ersten digitalen Versuchen, das Bild zum Beitrag werde ich nicht vergessen. Es war ein Selbstporträt, eine Studioaufnahme. Das Bild hatte Schlieren, durch den experimentellen Einsatz des Digiscanpacks. Gerhard winkte im Bild neben einer analogen Rolleiflex, welche eine rote und eine grüne Lichtlinse besaß. Es war wohl der Abschied von der analogen Fotografie.

Beate Domdey: Sie sind in Thüringen aufgewachsen, über Berlin nach Düsseldorf zum Studium gegangen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen? Warum ausgerechnet Düsseldorf? Ganz in der Nähe in Köln gibt es eine wichtige Medienhochschule.

Kathrin Tillmanns: Nun ja, ich nicht wegen des Studiums nach Düsseldorf gekommen, sondern es war Zufall – aber die Wahl der Hochschule fiel schon bewusst. Ich wollte nicht nur Fotografie studieren – hätte ich in Dortmund machen können, und Gerhard Vormwald war bekannt. Intention des Studiums war für mich schon eine Form von Pluralismus, es sollte breit angelegt sein, Theorie und Gestaltung verbinden – das kann Düsseldorf.

Beate Domdey: Prof. Vormwald ist ihr Lehrer. Er hat sich hier im Kunstverein Langenfeld mit Zeichnungen vorgestellt, die zwar von der Linie bestimmt sind aber doch auch sehr mit dem Licht gearbeitet haben. Inwieweit ist Ihr Lehrer auch ihr künstlerisches Vorbild, bzw. inwieweit ist Ihr Werk von ihm beeinflusst?

Kathrin Tillmanns: Ich habe Gerhard Vormwald als künstlerisch arbeitenden und denkenden Menschen kennengelernt und nicht als Fotograf im Produktionsalltag, der er ja auch jahrelang war und der eben auch für Werbung und Titelbilder von bekannten Magazinen gearbeitet hat. Das hat mich positiv überrascht und natürlich ist es mit einem Kollegen, mit dem man jahrelang eng zusammenarbeitet sich ein Büro teilt, wie mit zwei Bildern die nebeneinander hängen, sie korrespondieren miteinander und das ist schön so. Sein Einfluss zeigt sich schon, es ist der Einfall einer gewissen Lockerheit in meinem Werk, den ich erkenne. In dieser hier gezeigten Ausstellung vielleicht nicht so, aber zB. in der fotografischen Arbeit „image of the day“ in der ich jeden Tag ein Bild gemacht habe. Es ist das Prüfen der eigenen Arbeitsweise, sich mit ihr auseinander setzen. Auch in gemeinsamen Seminaren, in dem man gemeinsam Studentenarbeiten bespricht und betreut, zeigen und erweitern sich eigene Standpunkte.

Beate Domdey: Ihr hier präsentiertes Werk zeigt Fotografien, die Details von Alltagssituationen zeigen. Es scheint nicht um das eigentlich Dargestellte zu gehen, sondern um das „schattige Gegenüber“ der Gegenstände. Ihre Ausstellung nennen Sie aber Lichtungen. Möchten Sie Licht in das Dunkel bringen?

Kathrin Tillmanns: Es ist nicht das schattige Gegenüber, vielmehr des sowohl als auch. Es ist eine besondere Situation, in dem der Alltag in meinen Bildern einem wieder begegnet. Durch das ephemere des Lichts/Schattens ist es ein Unwiederbringbares, in diesem Moment des wahrnehmenes Erkanntes. Es ist eine Art Metatext der aus dem Bild spricht. Es ist das Bestimmen des Momentes, in welchem sich ein Ausschnitt aus dem Alltag zeigt, mir sich etwas zeigt. Es geht um das Verborgene zu entbergen, um einen theoretischen Bezug heraufzubeschwören. Lichtung meint im Allgemeinen eine Stelle im Wald, die sich plötzlich auftut, etwas Helles im Dunkel. Und durch diese Helle zeigt sich eben auch erst Dunkles.

Beate Domdey: Geht es  vielleicht auch um die Erforschung der Seele banaler Gegenstände?

Kathrin Tillmanns: Vielleicht, aber es geht eher um ephemere Erscheinungen des Lichts und des Schattens, die einen Grund im wahrsten Sinne benötigen, die in Abhängigkeiten, in Relation zu etwas stehen. Ich denke nicht das Gegenstände beseelt sind, aber das sie auf den zweiten Blick etwas anderes sind, als sie zu sein scheinen. Der Banale Gegenstand eignete sich immer schon zu künstlerischen Untersuchungen sehr gut, ob es nun die Äpfel von Cezanne oder die Familienfotos von Gerhard Richter sind, es geht zunächst um das Sehen eines Motivs und um das bestimmen des eigenen Motivs.

Beate Domdey: In Ihren Fotografien finden sich immer Details. Der Betrachter erhält nur eine Ahnung dessen, was dort wirklich abgebildet ist. Auch dass könnte ein Zeichen Ihres Forschergeistes sein?

Kathrin Tillmanns: Ahnung ist schön. Das Detail oder das nah dran, taucht immer wieder auf, auch in meiner Arbeit über mein Elternhaus. Ja es sind Ausschnitte, keine Überblicksbilder, die ich mache. Details sind mir wichtig und indem ich den Bildausschnitt eingrenze, bekommt der Inhalt eine Offenheit, die durch den Betrachter weitergeführt wird. Im Grunde genommen ist es nicht wichtig, ob das was auf dem Bild ist erkennbar zuordenbar ist, sondern es bestimmen seine dahinter liegenden Eigenarten, wie die Möglichkeit der Reflexion, der Formen und der Farbigkeit. Im Prozess der Aufnahme zieht mich, um es mit Roland Barthes zu sagen, etwas an, ein Punctum das mich sticht, verletzt, um es zu archivieren und dieses als Bild neben andere zu stellen, in Korrespondenz treten zu lassen.

Beate Domdey: Auffallend an Ihrer Ausstellung ist die Präsentation Ihrer Werke, die Sie selbst so konzipiert haben. Rahmenlos an die Wand geklebt, wie Notizzettel oder Erinnerungen. Ist es eine Art arte povera, eine arme Kunst? Das würde auch zu den teils simplen oder banalen Bildmotiven passen, das Alltägliche, nicht Aufgeputzte. Oder geht es vielleicht auch um eine Kritik am offiziellen Kunstbetrieb, der teils ja ganz schön aufwändig ist und vor lauter Inszenierung die eigentliche Kunst in den Hintergrund zu treten scheinen lässt.

Kathrin Tillmanns: Die Präsentation zeigt keine Einzelbilder, sondern eine Art Text im Sinne von Textur/Gewebe. Die Bilder sind für Langenfeld, für diesen Raum ausgewählt und zueinander gestellt. Das Einzelbild  zählt im Kontext mit den anderen. Ein Bild kann nicht ausreichend sein. Im nebeneinander entsteht etwas neues, unterschiedliche Bilder treffen zusammen, eben zu einer Art Text, wenn man will. Sie laden ein, ihn zu lesen. Auch die Bildabstände gehören zum Text, so wie der Abstand zwischen den Worten, die Absätze, die Auszeichnungen in Texten. Bilder brauchen Raum und der Raum zwischen den Bildern gehört dazu.

Beate Domdey: Bekannt geworden ist diese Art der Präsentation insbesondere bei dem großen Fotografen Wolfgang Tillmans. Er spricht davon, dass er den Galerieraum als Labor für seine Bilder benutzen wolle, um zu sehen, wie sie dort aufeinander reagieren, als öffentliche Werke, aber ebenso einfach als nackte Papierbögen. Ist dies hier für Sie im Sinne Tillmans eine Art Labor- also Forschungssituation?

Kathrin Tillmanns: Die Form der Hängung ist eine forschende prüfende, eher auf den Rundgang in Akademien verweisende. Ich wollte keine Rahmen, sondern pur, keine Trennung zum Betrachter hin. Es ist schon auch Kritik am Kunstmarkt, an Diasec und Fototapetenformaten, aber nicht ausschließlich. Es ist der Umgang mit Fotografie, mit Kunst als Lebensmittel, nicht als was entrücktes. Es sind chemisch ausbelichtete Bilder. Ausdrucke fand ich nicht angemessen. Das Fotopapier hat mich jahrelang begleitet mit all seinen Widrigkeiten. Ich habe es extra für die Arbeiten gewählt. Die Form eines Labors ist eine gute Beschreibung, es geht mir um die Arbeit mit Bildern, nicht um Produktion von Einzelwerken. Es ist auch der Blick auf den Kunsthistoriker Aby Warburg, der mir spontan einfällt, indem er zu Zwecken der Untersuchung Bildtafeln erstellt hat oder der Blick auf Gerhard Richter, der in seinem Atlas Bilder ordnet, auf eine andere Art und Weise, aber eben auch zunächst nicht auf das Einzelbild reduziert. Wolfgnag Tillmans hat die Hängung für die Fotografie etabliert und es zeigt, dass die Fotografie mit ihren Möglichkeiten noch nicht am Ende ist, sondern man sie nur neu denken muss.

Beate Domdey: Haben Sie bei der Hängung Überraschungen erlebt, wie ihre Bilder aufeinander reagieren?

Kathrin Tillmanns: Es überrascht immer wenn es fertig ist. Der ursprüngliche Plan war etwas anders, da ich den Raum anders empfunden hatte. Und natürlich treten Dinge auf, die man nicht präsent hat, Lichtschalter, Deckenschinen usw. Im Grunde genommen sind es räumliche Überaschungen, also wie der Raum sich verhält zu den Bildern und die Bilder zu ihm. Vielleicht sind es eher Raumuntersuchungen die ich mit Bildern mache.

Beate Domdey: Viele Fotos scheinen am gleichen Ursprungsort entstanden zu sein. Eine häusliche Situation. Erzählen die Bilder ihrer Ausstellung eine Geschichte?

Kathrin Tillmanns: Die Stirnwand und die genüberliegende Wand sind am gleichen Ort entstanden, in meinem Elternhaus. Nein sie erzählen keine Geschichte, durch die bewußte Verwendung von Licht und Schatten erfahren bestimmte Bildteile eine Zurücksetzung andere eine Hervorhebung. Der Bildausschnitt ist in einer ungewöhnlichen Perspektive gewählt, eher so, wie wenn man an etwas vorüber geht und nicht so, wie wenn man ein Foto von diesem Ort machen würde.

Beate Domdey: Haben Ihre Arbeiten etwas mit Ihnen zu tun, also gibt es einen autobiograischen Hintergrund?

Kathrin Tillmanns: Bilder haben immer etwas mit dem der sie macht zu tun. Wo man her kommt, wo man aufgewachsen ist, was einem wieder fahren ist. Licht und Schatten sind in der Landschaft, wo ich herkomme sehr archaische Momente. Im Wald zu stehen und einen tiefen Sonnenstand zu beobachten ist schon etwas besonderes. Schlimmer waren jedoch eher die Tage an dem es kein Licht und Schatten gab, dh. Diffuses Unbestimmbares.